Los puros de los Nicas
Nach Cuba gilt für viele Aficionados Nicaragua als das Zigarrenland der Träume. Wer allerdings
den Traum verwirklichen will, sieht sich mit einigen Schwierigkeiten konfrontiert. Die
Flugverbindungen nach Managua aus andern zentralamerikanischen Ländern und aus den USA
sind fast vollständig gestrichen. So musste der zigarrenreisende Verfasser dieser Zeilen sich
entscheiden zwischen komplizierten Flügen über Drittländer mit Flugzeiten von interkontinentalem
Ausmaß. Oder er wählt den Landweg - was er denn auch tat. Viele Deutsche erschaudern bei der
Vorstellung, auf diesem Weg nach Nicaragua einzureisen. Da sind Bilder im Kopf von
Flüchtlingsströmen, Wegelagerern, Busunfällen und platten Autoreifen. Dann doch lieber die
Puros der Nicas gemütlich zu Hause genießen. Damit aber wird auch eine Reise- und
Zigarrenerfahrung verpasst. Und diese fällt sehr positiv aus um Gegensatz zu den grundlosen
Befürchtungen zu Hause.
Die Grenze zwischen Costa Rica und Nicaragua mit dem verlockenden Namen Peñas Blancas
schien nur auf mich gewartet zu haben. Weit und breit weder Flüchtlinge noch Touristen. Ich war
so gut wie der einzige am Zollschalter. Das gilt natürlich nicht für die atemverschlagend langen
Schlangen von riesigen Trucks, deren Fahrer hier mindestens 24 Stunden warten müssen.
Allerdings muss der allein reisende Zigarrenfreund sich zu Fuss und mitsamt allem Gepäck
bewegen über eine kilometerlange Pufferzone bzw. Niemandsland zwischen den beiden Ländern
bei Bruthitze und dann nochmals dieselbe Stecke auf nicaraguanischer Seite. Dafür befreit die
Ankunft bei den Nicas den Zigarrenreisenden vom unsäglichen costaricensischen Rauchverbot.
Im Vergleich ist Nicaragua sehr liberal. Es geht dann weiter nach Managua mit einer rund
dreistündigen Busfahrt. Und was für eine! Ich wusste gar nicht, dass man einen Bus derart mit
Menschen überfüllen kann. Und wenn dann die schwer übergewichtige Frau neben mir auch noch
eine Tüte auch dem Schoß hält, aus der langsam aber stetig eine nicht zu identifizierende
Flüssigkeit auch auf meine Knie tropft, so hält sich auch beim Abenteurlustigsten die Freude am
Reisen für einen Moment in Grenzen. Aber immerhin, er kam in direkten Kontakt mit den Nicas,
auch wenn die ein kreolisches Spanisch in einer Geschwindigkeit reden, bei der auch sein von
einer gestrengen Professorin in der Schule für Ausländer trainierte Sprachenkenntnis kläglich
versagte.
Die Strapazen der Busreise wurden mehr als ausgeglichen durch eines der schönsten Hotels, in
dem ich mich jemals einfinden durfte. Alte Kolonialvilla mit einem Patio, in dem sich der Rauch
bislang in Costa Rica verbotener Zigarren köstlich mit dem Duft der tropischen Pflanzen
vereinigte. Mit der Lektüre von Gabriel Garcia Márquez’ Roman „Die Liebe in Zeiten der Cholera“
fühlte ich mir vollständig der Zeit entrückt. Dass dazu ein Flor de Caño nicht fehlte, ist wohl klar.
Am andern Tag dann die Reise nach Estelí. Ein Fahrer der neuen Zigarrenmanufaktur von Heinrich
Villiger holte nich frühmorgens zur rund vierstündigen Reise in die Hauptstadt der
Zigarrenproduktion ab. Ich war sehr überrascht, dass Heinrich Villiger über die letzten zwei Jahre
hinweg, einer für die Zigarrenproduktion schwierigen Zeit also, eine solche Investition für die
Zigarre leistete. Die neue Fabrik, die ausschliesslich für Villiger produziert, entstand auf dem
Gelände der ältesten Zigarren-Manufaktur von Nicaragua, der Joya de Nicaragua. Mit diesem
1968 durch zwei Kubaner gegründeten Unternehmen verbindet Villiger eine lange Geschichte.
Einstmals nur zum Einkauf von Rohtabak dort, entstand schon bald eine Freundschaft mit dem
Seniorchef von Joya de Nicaragua: Alejandro Martinez. Dieser war vor seiner Zeit als Chef der
Zigarrenfabrik Mitglied der ersten sandinistischen Regierung (Minister für Aussenhandel). Bei den
wunderbaren Gesprächen mit ihm habe ich auch viel über die Revolution in Nicaragua gelernt.
Alejandro war ein persönlicher Freund von Fidel Castro, hat aber nach der erfolgreichen
Vertreibung von Diktator Somoza und dem Kampf mit den Contras einen ganz anderen Weg
eingeschlagen als Fidel.
Die Villiger-Manufaktur wird geleitet von Alejandros Sohn Juan Ignacio. Eröffnet wurde die Fabrik
im letzten Oktober und ich hatte das Vergnügen, erster ausländischer Besucher sein zu dürfen.
Der Empfang war sehr herzlich und die Offenheit beeindruckte mich. Im Moment werden 2.5 Mio.
Zigarren pro Jahr für Villiger in der neue Fabrik produziert unter der Anstrengung von 60
Mitarbeitern, wovon z. Z. 32 Torcedores. Entspricht also einen Tagesausstoss von gegen 450
Puros pro Tag und Mitarbeiter. Joy de Nicaragua produziert 10 Mio. In Nicaragua gibt es heute 80
legale Zigarrenmanufakturen, die illegalen Familienbetriebe, sog. Chinchales nicht mitgezählt.
Warum ist der nicaraguanische Tabak aus dem Jalapa-Tal so anders? Dazu muss geschnüffelt
werden. Der äusserst sachkundige Yassir Reyes (Chef der Qualitätskontrolle), der mir auch die
alte Fabrik von Joya de Nicaragua öffnete, zeigte mir, wie man das macht, um einen ganz
besonderen Duft der Blätter aus Nicaragua zu erkennen. Es ist ein feiner metallischer Geruch, der
auch der Puro zu mehr Kraft als andere nichtkubanischen Provenienzen verhilft. Vermutlich
deshalb ist für viele Aficinados die nicaraguanische Puro (des Ausdruck bedeutet hier das
spanische Wort für Zigarre) der cubanischen am nächsten. Warum herrscht aber für uns in
Deutschland nicht nur akuter Mangel an Ware aus Kuba, sondern auch aus Nicaragua? Ich bekam
folgende Antworten: In den USA herrscht z. Z. der grösste Hype für Zigarren aus Nicaragua aller
Zeiten. Deshalb liefere z. B. Padrón so gut wie alles in die USA. Vor daher gesehen ist es ein
Glücksfall, dass Villiger seine eigene Produktion eingerichtet hat. Ein zweites Problem stellt der
Klimawandel dar. Es gibt offenbar zu wenig Regen im Jalapa-Tal. Drittens verzeichnen die
Nicaraguaner einen deutlichen Anstieg der Nachfrage wegen der Lieferprobleme Kubas. Zudem
gibt es auch in Europa, so die Analyse von Alejandro, wieder eine deutliche Zunahme von
Jungrauchern in 2020. Dies alles führe zur beklagenswerten Verknappung nicagaruanischer
Zigarren.
Wir aber halten, so versichern Vater und Sohn unisono, den Deutschen die Treue. Na dann kann
ich ja beruhigt aus dem so beindruckenden Nicaragua abreisen. Mit dem festen Vorsatz, bald
wieder zu kommen.