Mit Heinrich Villiger verbindet Maximilian Herzog eine langjährige Zigarrenfreundschaft.
Die beiden einzigen Träger des „Premio Hombre Habanos“ in Deutschland
trafen sich zu einem Gespräch bei Villiger Söhne in Tiengen.
70 Jahre Tabakkultur
Ich habe viel von Villiger lernen dürfen.
Zudem sind Heinrich Villiger
und ich die beiden einzigen Träger
in Deutschland des „Premio Hombre
Habanos“. Der Preis „Hombre Habanos“
wird jährlich von Kuba als eine
Art „Oscar“ an Menschen verliehen,
die sich in besonderer Weise um
die Zigarre verdient gemacht haben.
Villiger ist mit 92 Jahren der dienstälteste
Doyen der europäischen
Zigarrenherstellung. Ihn durfte ich
im deutschen Hauptsitz seines Familienunternehmens
in Tiengen am
Hochrhein besuchen. Wer Jahrzehnte
der Zigarrenproduktion überblickt,
hat wahrlich viel zu erzählen. Hier
folgen nur einige Ausschnitte.
Villiger führt das 1888 gegründete
Unternehmen in dritter Generation.
Nach der schweizerischen Handelsmaturitätsprüfung
stellte sich dem
Zwanzigjährigen die Frage nach seiner
beruflichen Zukunft. Der Sohn
von Max Villiger wollte studieren.
Um seine - nach eigenem Bekunden
- schlechten Leistungen in der für
Deutschschweizer obligatorischen
zweiten Fremdsprache Französisch
zu verbessern, war er auch bereit
zu einem Aufenthalt in der französischen
Schweiz, nämlich in Neuchâtel.
Doch der Vater bestand auf einen
Eintritt in das Unternehmen der
Familie.
Das Unternehmen Villiger war Mitte
des letzten Jahrhunderts eine
der damals vielen Manufakturen für
Stumpen. Als Besonderheit hatte das
Unternehmen aber auch eine eigene
Zigarettenfabrik und produzierte die
einstmals bekannte Marke „Boston
Filter“.
Heinrich Villiger sollte also nach
dem erklärten Willen des Vaters das
Tabakgeschäft von der Pike auf erlernen.
Das Wichtigste war der Rohtabakeinkauf.
Für Zigaretten und Zigarre
galt es den Rohtabakhandel in den USA kennen zu lernen. Villiger musste
also den Einkauf von Tabaken auf
Auktionen verstehen lernen. Das war
nicht einfach. Villiger erzählt, wie
auf den Auktionen die Tabakbauern
ihre Blätter direkt zum Kauf anboten.
Daher war die optimale Präsentation
der Ware wichtig, aber für den Käufer
mit Fallstricken gespickt. Oben lagen
die schönen Blätter, doch darunter
oft minderwertige. Der Einkäufer
musste sich also in kürzester Zeit ein
Bild von der Qualität des Angebots
machen. Dem Neuling Villiger kam
dabei die Aufgabe zu, behende die
unteren Blätter nach vorne zu ziehen
und sie dem potentiellen Käufer zu zeigen. Villiger begann also seine
Arbeit als „Pull-Boy“. Später stieg er
auf zum „Grader“, der die verantwortungsvolle
Arbeit leistet, den Tabak
nach Qualitäten zu klassifizieren.
Nach weiteren Aufenthalten unter
anderen in Kuba und in der Dominikanischen
Republik vervollständigte
er seine Rohtabakausbildung und
kehrte 1951 ins väterliche Geschäft
zurück. Dort begann mehr und mehr
Technik die Handarbeit zu übernehmen.
Interessanterweise, so erzählt
Villiger, hatte sich diese Entwicklung
in Deutschland im Gegensatz zur Fabrikation
in der Schweiz verzögert.
Als Grund sieht Villiger das Maschinenverbot
der Nazis. Die Nationalsozialisten
wollten offenbar die vielen kleinen Manufakturen erhalten, um
so Arbeitsplätze und damit Stimmen
zu sichern. 1952 ließ sich Villiger in
der Technik der Zigarren- und Zigarilloherstellung
ausbilden.
Es ist im Übrigen keineswegs so,
wie vielfach behauptet wird, dass
Stumpen durch die Kopfzigarre verdrängt
wurden. Vielmehr waren es
Zigarillos und kleine Formate, die
dem Stumpen Konkurrenz machten.
Der Siegeszug der Kopfzigarre war
später, wie Villiger sagt, eine Wohlstandserscheinung
bzw. das Zeichen
gestiegener Kaufkraft. So war es folgerichtig,
dass Villiger die Krone der
Kopfzigarre, die Havana, in Deutschland
an sich band. Er ging 1989 das
weltweit erste Joint-Venture mit
Habanos S. A. ein. Seither ist die 5th
Avenue-Products GmbH unter Villigers
Leitung der offizielle Alleinimporteur
für kubanische Zigarren in
Deutschland, Österreich und Polen.
Er steht auch dem schweizerischen
Pendant, der „Intertabak“ vor.
Zur gegenwärtigen Situation
der Zigarrenproduktion
Als erstes wollte ich wissen, ob sich
der Ukrainekrieg beim Zigarrenhandel
bemerkbar mache. Nein, er macht
sich nach Villiger nicht bemerkbar,
wobei anzumerken ist, dass Osteuropa
traditionell Zigaretten- und nicht
Zigarrenland ist. Covid hingegen
hatte eine positive Wirkung auf den
Handel, offenbar auch deshalb, weil
die Menschen mehr Zeit für Zigarren
hatten. Erschwert wird allerdings die
jetzige Situation durch die Situation
des Zigarrenhandels mit Kuba. Sie
ist katastrophal. Mittlerweilen können
längst nicht alle Kunden beliefert
werden, der Duty-Free-Handel
mit kubanischen Zigarren liegt am
Boden. Die Gründe für die Situation
in Kuba sind vielfältig und werden
jetzt durch den verheehrenden Wirbelsturm
- ausgerechnet im Mekka
der Habanos-Produktion, in Pinar del
Río, noch verstärkt.
Ein breit diskutiertes Thema sind die
enormen Preissprünge besonders
bei den kubanischen Topmarken wie Cohiba und Trinidad. Ziel ist die Angleichung
der Preise an das Niveau
von Hong Kong. Dahinter steckt die
chinesische Beteiligung bzw. deren
Einfluss auf Habanos S. A. Es spricht
nach Villiger für die Stärke der kubanischen
Topmarken, dass der
Markt die neuen Preise akzeptiert.
Weder die Schweiz noch Deutschland
melden Kaufsabstinenz. Im Übrigen
kann in beiden genannten Ländern
der mengenmäßige Einbruch durch
die erhöhten Preise kompensiert
werden. Die preisliche Situation der
Zigarren gleicht den Preisen für die
Top-Gewächse aus dem Bordelais.
Die Frage, ob elektronische Konkurrenzprodukte,
die Tabak nicht
verglühen, sondern verdampfen
lassen, der traditionellen Tabakverarbeitung
gefährlich werden können,
beantwortet Villiger so: Zwar
steigt der Anteil von Iquos et. al.,
aber Villigers Liebe gehört nach wie vor dem klassischen Tabakgenuss.
Elektronische Verdampfer gehören
in einen gänzlich neuen Wissensbereich,
bilden eine neue Kategorie,
die tatsächlich den herkömmlichen
Rohtabakhandel gefährden könnte.
Villigers Lieblingsprovenienz ist
Brasilien und erst in zweiter Linie
Kuba. Die Situation der brasilianischen
Zigarren ist aber marginalisiert.
Hat z. B. Burger (Dannemann)
nur noch einen Roller im Land, so
beschäftigt Villiger immer noch
zehn. Große Pläne hat Villiger auch
mit seiner neuen Fabrik in Estelí,
Nicaragua (siehe meinen Bericht in
der Broschüre No. 6), deren offizielle
Eröffnung am 26. Januar 2023 in
Esteli gefeiert wird. Die Kooperation
mit Joya de Nicaragua hat sich
vielversprechend etabliert. Da auch
in Nicaragua Menschen, die gute
Zigarren rollen können, rar sind, unterhält
Villiger eine eigene Rollerschule
in Nicaragua. So wird für die
Fortführung des edlen Handwerks
gesorgt. Das Problem ist allerdings,
dass von zehn Menschen, die in die
Schule eintreten, nur zwei den Abschluss
schaffen.
Heinrich Villigers Fazit eines Lebens
mit Tabak lautet wie seit je her: „In
love with tobacco“, und „Ich glaube
an die Zigarre“. Dieser Glaube
lebt im Familienunternehmen Villiger
weiter. Die Nachfolgeregelung
sieht so aus, dass alles in der Hand
der Familie Villiger bleibt. Für die
operative Managementarbeit beim
Deutschen Firmensitz wurden Christoph
Lüscher und Mirko Lorenzi berufen.
Das Haus ist also gut bestellt.
Ich danke Herrn Villiger für die Riesenarbeit
im Dienste der Zigarre –
und im Besonderen für seine Bereitschaft,
sein profundes Wissen mit
uns Zigarrenliebhabern zu teilen.