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01.01.23

KULTUR - Auf eine Zigarre mit_ HV

KULTUR // Auf eine Zigarre mit... Heinrich Villiger


Mit Heinrich Villiger verbindet Maximilian Herzog eine langjährige Zigarrenfreundschaft. Die beiden einzigen Träger des „Premio Hombre Habanos“ in Deutschland trafen sich zu einem Gespräch bei Villiger Söhne in Tiengen.

70 Jahre Tabakkultur


Ich habe viel von Villiger lernen dürfen. Zudem sind Heinrich Villiger und ich die beiden einzigen Träger in Deutschland des „Premio Hombre Habanos“. Der Preis „Hombre Habanos“ wird jährlich von Kuba als eine Art „Oscar“ an Menschen verliehen, die sich in besonderer Weise um die Zigarre verdient gemacht haben. Villiger ist mit 92 Jahren der dienstälteste Doyen der europäischen Zigarrenherstellung. Ihn durfte ich im deutschen Hauptsitz seines Familienunternehmens in Tiengen am Hochrhein besuchen. Wer Jahrzehnte der Zigarrenproduktion überblickt, hat wahrlich viel zu erzählen. Hier folgen nur einige Ausschnitte.

Villiger führt das 1888 gegründete Unternehmen in dritter Generation. Nach der schweizerischen Handelsmaturitätsprüfung stellte sich dem Zwanzigjährigen die Frage nach seiner beruflichen Zukunft. Der Sohn von Max Villiger wollte studieren. Um seine - nach eigenem Bekunden - schlechten Leistungen in der für Deutschschweizer obligatorischen zweiten Fremdsprache Französisch zu verbessern, war er auch bereit zu einem Aufenthalt in der französischen Schweiz, nämlich in Neuchâtel. Doch der Vater bestand auf einen Eintritt in das Unternehmen der Familie.

Das Unternehmen Villiger war Mitte des letzten Jahrhunderts eine der damals vielen Manufakturen für Stumpen. Als Besonderheit hatte das Unternehmen aber auch eine eigene Zigarettenfabrik und produzierte die einstmals bekannte Marke „Boston Filter“.

Heinrich Villiger sollte also nach dem erklärten Willen des Vaters das Tabakgeschäft von der Pike auf erlernen. Das Wichtigste war der Rohtabakeinkauf. Für Zigaretten und Zigarre galt es den Rohtabakhandel in den USA kennen zu lernen. Villiger musste also den Einkauf von Tabaken auf Auktionen verstehen lernen. Das war nicht einfach. Villiger erzählt, wie auf den Auktionen die Tabakbauern ihre Blätter direkt zum Kauf anboten. Daher war die optimale Präsentation der Ware wichtig, aber für den Käufer mit Fallstricken gespickt. Oben lagen die schönen Blätter, doch darunter oft minderwertige. Der Einkäufer musste sich also in kürzester Zeit ein Bild von der Qualität des Angebots machen. Dem Neuling Villiger kam dabei die Aufgabe zu, behende die unteren Blätter nach vorne zu ziehen und sie dem potentiellen Käufer zu zeigen. Villiger begann also seine Arbeit als „Pull-Boy“. Später stieg er auf zum „Grader“, der die verantwortungsvolle Arbeit leistet, den Tabak nach Qualitäten zu klassifizieren.

Nach weiteren Aufenthalten unter anderen in Kuba und in der Dominikanischen Republik vervollständigte er seine Rohtabakausbildung und kehrte 1951 ins väterliche Geschäft zurück. Dort begann mehr und mehr Technik die Handarbeit zu übernehmen. Interessanterweise, so erzählt Villiger, hatte sich diese Entwicklung in Deutschland im Gegensatz zur Fabrikation in der Schweiz verzögert. Als Grund sieht Villiger das Maschinenverbot der Nazis. Die Nationalsozialisten wollten offenbar die vielen kleinen Manufakturen erhalten, um so Arbeitsplätze und damit Stimmen zu sichern. 1952 ließ sich Villiger in der Technik der Zigarren- und Zigarilloherstellung ausbilden.

Es ist im Übrigen keineswegs so, wie vielfach behauptet wird, dass Stumpen durch die Kopfzigarre verdrängt wurden. Vielmehr waren es Zigarillos und kleine Formate, die dem Stumpen Konkurrenz machten. Der Siegeszug der Kopfzigarre war später, wie Villiger sagt, eine Wohlstandserscheinung bzw. das Zeichen gestiegener Kaufkraft. So war es folgerichtig, dass Villiger die Krone der Kopfzigarre, die Havana, in Deutschland an sich band. Er ging 1989 das weltweit erste Joint-Venture mit Habanos S. A. ein. Seither ist die 5th Avenue-Products GmbH unter Villigers Leitung der offizielle Alleinimporteur für kubanische Zigarren in Deutschland, Österreich und Polen. Er steht auch dem schweizerischen Pendant, der „Intertabak“ vor.

Zur gegenwärtigen Situation der Zigarrenproduktion


Als erstes wollte ich wissen, ob sich der Ukrainekrieg beim Zigarrenhandel bemerkbar mache. Nein, er macht sich nach Villiger nicht bemerkbar, wobei anzumerken ist, dass Osteuropa traditionell Zigaretten- und nicht Zigarrenland ist. Covid hingegen hatte eine positive Wirkung auf den Handel, offenbar auch deshalb, weil die Menschen mehr Zeit für Zigarren hatten. Erschwert wird allerdings die jetzige Situation durch die Situation des Zigarrenhandels mit Kuba. Sie ist katastrophal. Mittlerweilen können längst nicht alle Kunden beliefert werden, der Duty-Free-Handel mit kubanischen Zigarren liegt am Boden. Die Gründe für die Situation in Kuba sind vielfältig und werden jetzt durch den verheehrenden Wirbelsturm - ausgerechnet im Mekka der Habanos-Produktion, in Pinar del Río, noch verstärkt.


Ein breit diskutiertes Thema sind die enormen Preissprünge besonders bei den kubanischen Topmarken wie Cohiba und Trinidad. Ziel ist die Angleichung der Preise an das Niveau von Hong Kong. Dahinter steckt die chinesische Beteiligung bzw. deren Einfluss auf Habanos S. A. Es spricht nach Villiger für die Stärke der kubanischen Topmarken, dass der Markt die neuen Preise akzeptiert. Weder die Schweiz noch Deutschland melden Kaufsabstinenz. Im Übrigen kann in beiden genannten Ländern der mengenmäßige Einbruch durch die erhöhten Preise kompensiert werden. Die preisliche Situation der Zigarren gleicht den Preisen für die Top-Gewächse aus dem Bordelais.


Die Frage, ob elektronische Konkurrenzprodukte, die Tabak nicht verglühen, sondern verdampfen lassen, der traditionellen Tabakverarbeitung gefährlich werden können, beantwortet Villiger so: Zwar steigt der Anteil von Iquos et. al., aber Villigers Liebe gehört nach wie vor dem klassischen Tabakgenuss. Elektronische Verdampfer gehören in einen gänzlich neuen Wissensbereich, bilden eine neue Kategorie, die tatsächlich den herkömmlichen Rohtabakhandel gefährden könnte.


Villigers Lieblingsprovenienz ist Brasilien und erst in zweiter Linie Kuba. Die Situation der brasilianischen Zigarren ist aber marginalisiert. Hat z. B. Burger (Dannemann) nur noch einen Roller im Land, so beschäftigt Villiger immer noch zehn. Große Pläne hat Villiger auch mit seiner neuen Fabrik in Estelí, Nicaragua (siehe meinen Bericht in der Broschüre No. 6), deren offizielle Eröffnung am 26. Januar 2023 in Esteli gefeiert wird. Die Kooperation mit Joya de Nicaragua hat sich vielversprechend etabliert. Da auch in Nicaragua Menschen, die gute Zigarren rollen können, rar sind, unterhält Villiger eine eigene Rollerschule in Nicaragua. So wird für die Fortführung des edlen Handwerks gesorgt. Das Problem ist allerdings, dass von zehn Menschen, die in die Schule eintreten, nur zwei den Abschluss schaffen.


Heinrich Villigers Fazit eines Lebens mit Tabak lautet wie seit je her: „In love with tobacco“, und „Ich glaube an die Zigarre“. Dieser Glaube lebt im Familienunternehmen Villiger weiter. Die Nachfolgeregelung sieht so aus, dass alles in der Hand der Familie Villiger bleibt. Für die operative Managementarbeit beim Deutschen Firmensitz wurden Christoph Lüscher und Mirko Lorenzi berufen. Das Haus ist also gut bestellt.


Ich danke Herrn Villiger für die Riesenarbeit im Dienste der Zigarre – und im Besonderen für seine Bereitschaft, sein profundes Wissen mit uns Zigarrenliebhabern zu teilen.




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